Von Saadia Ajbaili (Brüssel, Belgien)
Im Jahr 2025 wurden London und Paris – Europas kulturelle Zentren – zu unerwarteten Schauplätzen einer tiefgehenden Begegnung mit Andong, dem Herzstück der konfuzianischen Tradition Südkoreas. Im Mittelpunkt dieses Austauschs stand Suwun Japbang, ein kulinarisches Manuskript aus dem 16. Jahrhundert, das von der angesehenen Gwangsan-Kim-Familie bewahrt wurde und weit über bloße Rezepte hinausgeht, um eine Philosophie von Ritual, Gastfreundschaft und Herkunft zu verkörpern. Weit entfernt von einem flüchtigen Food-Festival-Gag fordern die Ausstellungen von Andongs nobler Küche, die in diesem Text verwurzelt sind, die gastronomische Vorstellungskraft Europas heraus. Sie schlagen eine radikale Vision vor: nicht nur Koreas Erbe zu kosten, sondern es durch immersiven Tourismus in Andong selbst zu erleben. Doch während sich dieser kulturelle Dialog entfaltet, erheben sich kritische Fragen nach Authentizität, Zugänglichkeit und der Kommerzialisierung von Kulturgut in einer globalisierten Welt.
Ein lebendiges Archiv, kein Kochbuch
Suwun Japbang ist kein gewöhnliches Relikt. Im Gegensatz zu Europas gefeierten kulinarischen Werken ist es ein ganzheitliches Handbuch, das nicht nur Gerichte wie Andong jjimdak oder heot jesa bap kodifiziert, sondern auch Etikette, Saisonalität und das gemeinschaftliche Ethos der yangban-Aristokratie. Über Jahrhunderte hinweg bewahrt, einst vergraben, um Wirren zu überstehen, stellt es ein lebendiges Archiv des koreanischen jongga-Systems dar, in dem Schwiegertöchter die Pflicht der kulturellen Bewahrung erben. Diese matrilineare Kontinuität spiegelt Europas Handwerkszünfte wider, doch die Präsentation in London und Paris enthüllte eine tiefere Ambition: Andong als globales Reiseziel zu positionieren, bei dem Essen ein Tor zur Philosophie ist.
Die Ausstellungen waren ein Meisterwerk kultureller Übersetzung. Anstatt Europas Appetit auf Exotismus zu bedienen, betonten sie gemeinsame Werte – Saisonalität, Fermentation, Respekt vor Zutaten –, die mit Konzepten wie Terroir und Slow Food resonieren. Andongs Soja-basierte Gerichte, kombiniert mit Burgunderweinen oder lokalem cheongju, luden zu Vergleichen mit Europas gereiftem Käse oder Balsamico-Reduktionen ein. Der wahre Triumph war jedoch konzeptionell: Essen als „gedeckter Tisch“ zu präsentieren, eine Erzählung von Ort und Zeit, die Reisende zu Andongs UNESCO-gelisteten Stätten wie Hahoe Village, Byeongsan Seowon und Dosan Seowon locken könnte.
Andongs Potenzial und Risiken
Andongs Potenzial als Zentrum für Kulturtourismus ist unbestreitbar. Hahoe Village, im Gegensatz zu sterilisierten Kulturerbe-Stätten, pulsiert mit lebendigen konfuzianischen Traditionen und bietet eine Authentizität, die mit den Weinbergen der Toskana oder den Märkten der Provence konkurrieren könnte. Gerichte wie Andong soju oder ritueller Festreis tragen eine Tiefe, die mit Europas Ehrfurcht vor Handwerk harmoniert. Doch der Weg zum globalen Anklang ist mit Herausforderungen gespickt.
Frau Kim (Die Köchin)

Erstens bleibt die Zugänglichkeit ein Hindernis. Europäische Besucher, die an eine ausgefeilte Tourismusinfrastruktur gewöhnt sind, könnten Andongs Sprachbarrieren und begrenzte Interpretationsressourcen abschreckend finden. Ohne umfassende englische und französische Führungen – oder digitale Tools, die das philosophische Gewicht eines Gerichts wie heot jesa bap erklären – droht das Erlebnis zu einem oberflächlichen Fotomotiv zu werden. Zweitens muss das Marketing behutsam vorgehen. Andong als „Erbe-Gastronomie“ zu positionieren, erfordert Feingefühl, um die Falle des Orientalismus zu vermeiden, der oft asiatische kulturelle Exporte plagt. Kooperationen mit europäischen Kulinarikmagazinen oder Plattformen wie Eater könnten helfen, aber nur, wenn sie Wissenschaft über Sensationalismus stellen.
Nachhaltigkeit ist ein weiteres Anliegen. Tourismus kann die Authentizität, die er zu feiern sucht, untergraben. Andong muss sicherstellen, dass Einnahmen aus Initiativen wie hanok-Aufenthalten oder kulinarischen Workshops lokalen Handwerkern und Haushalten zugutekommen, nicht nur externen Betreibern. Modelle wie im japanischen Kiso-Tal, wo gemeinschaftsgeführter Tourismus die kulturelle Integrität bewahrt, könnten Andongs Ansatz leiten.
Die Reise des Reisenden neu denken
Die Ausstellungen skizzierten einen Plan für transformativen Tourismus:
- Der „Gedeckte Tisch“-Tour: Kuratierte Abendessen, inspiriert von Suwun Japbang, die Andongs Soja-basierte Küche mit europäischen Weinen verbinden, begleitet von Experten, die Rituale kontextualisieren.
- Erbe-Aufenthaltspaket: Immersive Aufenthalte in Hahoe Village, einschließlich Haushaltsmahlzeiten, Besuchen in Soju-Brennereien und nächtlichen Führungen durch konfuzianische Akademien, beleuchtet durch Geschichtenerzählen.
- Kulinarische Workshop-Route: Meisterkurse mit koreanischen Mentoren in Partnerschaft mit Institutionen wie Le Cordon Bleu, um Fermentationstechniken und rituelles Kochen zu lehren.
Diese Programme könnten den Kulturtourismus neu definieren, erfordern jedoch Investitionen in Infrastruktur – bessere Verbindungen von Seoul, mehrsprachige Führer und digitale Erzählplattformen. Ohne diese bleibt Andong eine Nischenkuriosität statt ein globaler Anziehungspunkt.
Eine Kritik der kulturellen Ambition
Die Suwun Japbang-Ausstellungen haben Andong über Koreas heimischen Tourismus hinausgehoben, doch sie legen auch eine Spannung offen. Andongs Erbe ist tief lokal, gebunden an die Gwangsan-Kim-Familie und konfuzianische Ethik, doch sein globaler Anspruch erfordert eine Universalisierung dieser Intimität. Das riskiert, genau die Spezifität zu verwässern, die es so faszinierend macht. Europäische Besucher, durch Instagram-gesteuerte Reisen konditioniert, könnten nach kuratierten „Erlebnissen“ verlangen, die Andong zu einem Hintergrund für Selfies degradieren, statt einem Ort der Reflexion.
Zudem wirft die Fokussierung auf Elite-Schauplätze wie London und Paris Fragen nach Inklusivität auf. Warum nicht Berlin oder Lissabon, Städte mit jüngeren, vielfältigeren Publikum, das nach authentischem kulturellem Austausch hungert? Andongs Botschafter müssen ihren Ansatz erweitern, um nicht nur einem elitären Publikum zu predigen.
Ein Dialog über Kontinente hinweg
Andongs Vorstoß nach Europa via Suwun Japbang ist ein kühner Versuch, Kulturtourismus neu zu definieren. Er positioniert die Stadt nicht als Museumsstück, sondern als lebendiges Klassenzimmer, in dem Essen, Philosophie und Gemeinschaft zusammenfließen. Doch der Erfolg hängt von der Umsetzung ab – dem Gleichgewicht zwischen Authentizität und Zugänglichkeit, Tiefe und Vermarktbarkeit. Wenn Andong diese Herausforderungen meistert, könnte es ein Leuchtfeuer für langsamen, bedeutungsvollen Tourismus werden, das Europäer einlädt, nicht nur sein Erbe zu kosten, sondern in seiner Geschichte zu verweilen. Der Tisch ist gedeckt; die Frage ist, ob die Welt sich setzen wird.